1961: Superspion des Westens? Alles Fake

Der erfundene Superspion. Foto: David Sinclair / Unsplash

Der kalte Krieg war auch ein Informations- und Spionagekrieg. Fake News gab es auf beiden Seiten. Manchmal aber auch von den eigenen Mitarbeitern. So fielen die DDR Oberen auf einen frei erfundenen Superspion rein. Kreiert von ihrem eigenen Mitarbeiter. 

Jörg Bocho hatte eine falsche Entscheidungen getroffen. Kurz vor dem Mauerbau 1961 floh er als Bundeswehr-Soldat in die DDR. Glücklich wurde er nicht, als Hilfsschlosser im VEB Leipziger Gummiwaren waren seine Möglichkeiten begrenzt. Zurück konnte er aber auch nicht, als Deserteur drohte ihm Gefängnis. So kam er auf die Idee heimlich Flugblätter gegen die DDR zu drucken, in der Hoffnung, dass dies bei einer Rückkehr in den Westen strafmildernd wirken würde. 

Eine dumme Idee 

Die Stasi schnappte ihn, 1966 wurde er verhaftet und Bocho verfiel auf die nächste, scheinbar brillante, Idee. Er behauptete ein Superspion zu sein. Er habe eine umfassende Einzelkämpfer-Ausbildung erhalten, vor allem als Kampfschwimmer. Zeitweise habe er die DDR verlassen, um an einer Gefechtsübung in der Türkei und einer Spezialausbildung in den USA teilzunehmen.

Laut seinem Auftrag solle er Informationen über Volksmarine und Luftstreitkräfte im Küstengebiet sammeln, die Zerstörung von Schiffen und Blockade von Hafenausfahrten planen, zudem Agenten mit Hilfe von Kleinst-U-Booten einschleusen. Warum die Lügen? Seine Hoffnung war, dass er so durch einen Agententausch wieder in den Westen zurückkönne. 

Vom Hilfsschlosser zum hochqualifizierten US-Spezialagenten

Glaubhaft machte Bocho, dass er seine Behauptungen mit allerhand Skizzen und Spezialkenntnissen zu modernen Spionagegeräten untermauern konnte. Nur hatte er diese nicht durch US-Agenten erhalten, sondern von Mitarbeitern der Stasi selber. Seine Vernehmer gehörten zur Hauptabteilung IX/5 des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) unter Leitung von Herbert Pätzel. Diese besorgten die nötigen Unterlagen, Bocho schrieb sie ab und schon konnte die Stasi einen Agentenring präsentieren. So einfach ist die Arbeit. 

Karriere kann man planen

Sogar eine Dissertation wurde aus der Geschichte gemacht, erschienen an der Potsdamer Stasi-Hochschule mit dem Prädikat "magna cum laude". Die Dissertation dreier Doktoranden handelte von einem Agentenring, der mittels Klein-U-Booten über die Küstengewässer in die DDR eindringt, um unter anderem Raketen-Abschussvorrichtungen zu installieren - eine bis dahin völlig unbekannte Form "verdeckter Kriegsführung". Die drei Doktoranden waren die Vernehmungsbeamte Bochos. 

Aber der Schwindel flog auf 

Denn Bocho gehörte zu gar keinem Geheimdienst, folglich wollte ihn auch niemand austauschen. Das fiel den Oberen in der DDR irgendwann auf. Vor allem, weil Pätzel einen ganzen Agentenring erfunden hatte, zahlreiche Unbeteiligte waren als vermeintliche Superspione verurteilt worden. Aber auch diese Spione wollte keiner der westlichen Geheimdienste haben.

Bei einer Stasi-internen Untersuchung flog Pätzel wegen seines erfundenen Agentenrings auf und wurde 1979 ins Archiv strafversetzt. Eine Verurteilung hätte die Stasi lächerlich gemacht. Keiner gibt gerne zu, dass er hereingelegt wurde.

Und der Ausgang der Geschichte?

1976 konnte Bocho schließlich ausreisen. Das Gericht hatte den Rest der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Pätzel wurde nach dem Fall der Mauer lediglich zu einer Bewährungsstrafe von 22 Monaten verurteilt. In einem Gespräch mit der Dokumentarfilmerin Heike Bittner hielt Pätzel noch 2009 daran fest, "dass wenigstens 95 Prozent der Dinge, die Bocho erzählte, Wahrheit sind". Die zahlreichen unschuldig von ihm inhaftierten Menschen werden dies sicherlich anders sehen. 

Quellen

  • Der Fall Bocho
  • Buchempfehlung "Rudek Joachim H. – Der erfundene Superspion“ Edition Berolina 2019